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Der 08/15-Weg

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Sperrungen für die, die sich das sowieso nicht anschauen

»Ich muss feststellen: Es wird eine Möglichkeit vorgestellt, Webseiten für diejenigen zu Sperren, die sie sowieso nicht ansehen.«

Siegfried Langenbach, Geschäftsführer der CSL GmbH, als Antwort auf die Vorschläge der Bezirksregierung Düsseldorf; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Stand: 28. Januar 2003
Text von Alvar Freude

Düsseldorfs Regierungspräsident Büssow sieht sich als Vorreiter im Kampf gegen Rechtsextremismus im Internet – wenn es aber drauf ankommt schweigt er. Stattdessen versucht seine Behörde mit zweifelhaften 08/15-Sperrungen einen gerichtlichen Präzedenzfall zu schaffen. Im Kampf gegen den Rechtsextremismus sind diese Übungen vollkommen wirkungslos, auf der anderen Seite können sie aber dem Internet als weltweitem Kommunikationsmedium auf Dauer schweren Schaden zufügen. (Siehe auch: Was und wieviel könnte in Zukunft gesperrt werden?)

Mitte der 80er Jahre arbeitete Jürgen Büssow entscheidend am Landesrundfunkgesetz Nordrhein-Westfalen (LRG NW) mit. Ein wichtiges Element des lokalen Rundfunks ist dabei das Zwei-Säulen-Modell, das die inhaltliche Kontrolle des lokalen Privatfunks »gesellschaftlich relevanten Kräften« in die Hand gibt. Anfang des neuen Jahrtausends versucht der gelernte Orthopädiemechaniker, Sozialarbeiter und Diplom-Pädagoge Büssow nun, eine Kontrolle und Regulierung des Internets zu etablieren.

Während das Rundfunkmodell in NRW durchaus begrüßenswert ist, verfängt sich das Kontroll-Konzept am Charakter des Internets. Die Ressourcen sind im Gegensatz zu Sendefrequenzen nahezu unbegrenzt, das Medium ist im Gegensatz zum lokalen Rundfunk nicht lokal, sondern global. Und technisch ist es eher mit dem Telefon als mit Rundfunk vergleichbar (Jakob Nielsen). Man stelle sich also vor, die Behörde eines Bundeslandes würde das internationale Telefonnetz kontrollieren wollen und Menschen in Deutschland davon abhalten, unerwünschte Telefonnummern in den USA anzurufen ...

Die ersten Büssowschen Regulierungs-Versuche sollen nun also mit ausländischen Nazi-Seiten gemacht werden – mit Stormfront und der Homepage von Nazi-Lauck (einer lächerlichen Eigendarstellung, die keinen einzigen Besucher zum Nazi machen dürfte) –, denn: Welcher vernünftige Mensch ist nicht gegen Rechtsextremisten im Internet? Und die Lösung ist für die Bezirksregierung ganz einfach: Die Zugangsanbieter (Access-Provider) sollen unerwünschte Seiten einfach Sperren. Dass man damit nicht die Rechtsextremisten trifft, ist dem verantwortlichen Beamten durchaus bewusst:

»Nach alledem wird man mit Sperrungen bei den Access-Providern, so unsere Einschätzung, eine Verfügbarkeit rechtsextremistischer Inhalte für deutsche Nutzer nicht ausschließen oder ganz verhindern können, für das breite Publikum jedoch wesentlich erschweren.
Die Inhalte bleiben schließlich im Netz. Nutzer mit vertieften IT-Kenntnissen beziehungsweise überzeugte Rechtsextremisten werden schon Wege finden, um an die Inhalte zu gelangen.«

RD Jürgen Schütte, zuständiger Dezernatsleiter der Bezirksregierung Düsseldorf; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Alibi-Aktion zur Beruhigung des antifaschistischen Gewissens?

Auch die im November 2001 geladenen Providervertreter kritisierten, dass die geplanten Sperrungen nur eine Alibi-Funktion haben, also die Webseiten nur für solche Leute sperren, die sie sowieso nicht ansehen.

Die Bezirksregierung will Sperrungen für die »08/15«-User:

»Wir wollen dem 08/15-User [...] erschweren, dass der an diese Seiten kommt.«

Diverse Zwischenrufe, Tumult ...

»Die Welt ist nicht statisch! [...] Das ist kindisch!«

»Was würde denn passieren, wenn ich mit der DNS-Lösung sperre?« – »Nix!« [...]

Mehr Zwischenrufe, Aufregung und Tumult ...

»Wenn Sie nur von den 08/15-Usern reden, dann fühlen wir als Universitäten uns ja gar nicht mehr angesprochen. [...]
Sie lassen auch völlig außer Acht, dass die komplizierteren technischen Lösungen sehr leicht so eingepackt werden können,[...], dass dann auch der 08/15-User, der dies unbedingt will, diese Lösung sehr leicht nachvollziehen kann. Das haben wir in der Vergangenheit im Internet oft genug erlebt.«

Diverse; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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So gibt es zum Beispiel Anonymisierungsdienste im Netz, mit deren Hilfe es kinderleicht ist, jegliche Sperren zu umgehen: Einfach die gewünschte Zieladresse eingeben und fertig. Auch bei einer flächendeckenden Sperrung wäre also nichts erreicht, sondern nur das Gewissen beruhigt.

Tauss: Büssow behindert Kampf gegen Nazis

Auch aus der Politik kommt laute Kritik am Vorgehen Büssows. Sein Parteifreund Jörg Tauss wirft ihm zu Recht vor, dass er mit seinem Vorgehen andere Bemühungen im Kampf gegen Rechtsextremismus behindert:

Sprecher: »Offensive Aufklärungsarbeit wäre eine Alternative zu ineffizienten Holzhammermethoden.«

Jörg Tauss: »Im Grunde genommen könnte Herr Büssow sein Ziel nur dadurch erreichen, dass er Nordrhein-Westfalen vom internationalen Telefonnetz abklemmt. Und das kann's nicht sein. Mein Problem ist, dass andere Bemühungen, die ja angeleiert worden sind, schlichtweg konterkariert werden. Ich würde mir wünschen, dass man mit Hilfe des Internets Nazis bekämpft, und dass man nicht Nazis bekämpft indem man das Internet bekämpft, das ist der Büssowsche Ansatz.«

Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion; in einem Interview mit 3sat Kulturzeit, ausgestrahlt am 14. November 2002

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Auf zur Insel der Glückseligkeit

»[...] Der Eindruck drängt sich auf: Wir streben eine nordrhein-westfälische Insel der Glückseligen an. Das kann natürlich nicht funktionieren. Wenn Sie eine solche Aktion schon starten, dann vermisse ich die Initiative auf Bundesebene, auf europäischer Ebene, letzten Endes auf weltweiter Ebene. Das ist ein diplomatisches Thema, das können wir nicht mit den Maßnahmen des deutschen Mediendienstestaatsvertrag oder des Teledienstegesetzes durchziehen.«

Jürgen Büssow antwortet und beruft sich darauf, dass er ja nur das Gesetz anwende. Gleichzeitig wirft er den anderen Bundesländern Untätigkeit vor. Vor allem einige »Neuländer« hätten beim Thema Rechtsextremismus Nachholbedarf. Der Vorredner fährt fort:

»Die Access-Provider sind technische Dienstleister. [...] Es muss zunächst darum gehen, dass sie gegen die Inhalteanbieter vorgehen! [...] Sie schaffen eine nordrhein-westfälische Insel der Glückseligen, die völlig losgelöst von der Welt existieren soll! [...]«

Unbekannter Redner und Jürgen Büssow; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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E-Mail in die USA

Nicht nur die vermeintlichen Sperren sind halbherzig, auch der Versuch der Bezirksregierung, Provider in den USA durch das Schreiben von E-Mails zum Kündigen von Verträgen mit Rechtsextremisten bewegen zu wollen, kann nur als naiv bezeichnet werden. Siegfried Langenbach bringt dies auf den Punkt:

»Das Senden einer E-Mail in die USA, um die Leute zu bitten irgendwas einzustellen, ist natürlich ein Witz. Sehen Sie, ich bekomme jeden Monat ungefähr eine E-Mail, ein FedEx oder ein Fax, wo irgendein Anwalt oder Richter in den USA irgendetwas verbietet. Und die Amerikaner sind der Meinung, dass ich unter deren Jurisdiktion falle und dem zu folgen habe. Ich habe mich erkundigt, und bis jetzt habe ich immer erfahren, dass die Anwälte in Deutschland der Ansicht sind: Die sollen sich einen Titel in Deutschland holen. Und so verhalte ich mich auch. Ich bin stolz darauf – weil ich nicht der Meinung bin, dass die Amerikaner die ganze Welt regieren sollen.
Es wäre vielleicht denkbar, dass Sie auch einen Rechtstitel drüben wählen; und ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie dann den Content-Provider tatsächlich namhaft machen können. Nur das ist natürlich ein bisschen aufwendiger als nur eine E-Mail schicken.«

Siegfried Langenbach, Geschäftsführer der CSL GmbH, bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Warum?

Der mitdenkende Leser fragt sich nun: Warum sperren, wenn es sowieso nichts bringt? Was will die Bezirksregierung bezwecken? Will Regierungspräsident Büssow sich nur wieder für einen neuen Posten qualifizieren, oder ist er von den Online-Nazis so angewidert, dass ihm jedes Mittel recht ist – selbst sinnlose 08/15-Sperrungen? Kam die Initiative von der Landesregierung? Soll nur der Weg für weitergehende Sperrungen bereitet werden, um so ein »sauberes« lokales Internet nach chinesischem Muster zu erschaffen? Alles nur ein Missverständnis?

Büssow gibt an, dass er die Provider »immunisieren« will, damit sie nicht dem Vorwurf ausgesetzt sind, Rechtsextremismus zu unterstützen. Aber haben die Provider das nötig?

»Glauben Sie doch bitte nicht, dass wir hier der Providerwirtschaft in Nordrhein-Westfalen das Leben schwer machen wollen. Weil Sie gesagt haben, das wäre aus standortpolitischen Gründen absurd, was wir hier machen, ja. Das ist nicht der Fall! Sondern im Gegenteil: Sie sollen in der Zusammenarbeit mit uns sozusagen immunisiert werden gegen den Vorwurf hier, dass wir hier Freiraum sind hier für rechtswidrige Angebote im Internet.
Wir haben übrigens auch Hinweise, dass wir glauben, dass die meisten inkriminierten Seiten nicht aus Nordrhein-Westfalen kommen, da wo die Content-Provider aus Deutschland kommen.«

Jürgen Büssow, Präsident der Bezirksregierung Düsseldorf; bei der Anhörungsveranstaltung am 13. November 2001

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Die staatlich verfügte Medienkompetenzsperre ...

... zum Schutz von Volk und Staat?

Sprecher: »Was für User will man im Netz: Kaufwillige Konsumenten, denen man die kritische Auseinandersetzung zum Beispiel mit Nazi-Seiten nicht zutraut, oder medienkompetente mündige Bürger, die sich im Netz mit Argumenten auseinandersetzen? Regierungspräsident Büssow hält weder von den Usern noch von deren Medienkompetenz sehr viel:«

Jürgen Büssow: »Ich war früher in der Erwachsenenbildung tätig. Ich weiss wie wenig Prozent der Bevölkerung in solche Angebotssituation gegangen sind um Medienkompetenz sich zu erwerben, ja! Fragen Sie doch mal Fernsehzuschauer, was wir da für eine Medienkompetenz haben. Oder machen doch mal Benutzerprofile, welche Sendungen – wir wissen es ja von der Quote her – auch am meisten gesehen werden. Die drücken ja auch nicht immer Medienkompetenz aus.«

Sprecher: »Also rausfiltern was geht, damit der User nicht ins Grübeln gerät, was er im Netz gegen dumpfe Propaganda tun kann.«

Jürgen Büssow, Regierungspräsident Bezirksregierung Düsseldorf; in einem Interview mit 3sat Kulturzeit, ausgestrahlt am 14. November 2002

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Sonstige Infos:
Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur)

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